Manfred Kannenberg-Rentschler (2)

„Die Zukunft liegt nach wie vor im – Geiste“* (Zur bundesdeutschen NOTBREMSE im April 2021)

Vielleicht werden der 21.4. und der 23.4.21 als die Tage der Verabschiedung des „Bevölkerungsschutzgesetzes“ durch den Deutschen Bundestag und Bundesrat sowie die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten rückblickend einmal als die Daten eines Verhängnisses auffallen, an denen die bundesdeutsche Republik endgültig den Weg ihrer Rechtstaatlichkeit, Gewaltenteilung und verfassten Unantastbarkeit der Würde des Einzelnen verlassen hat. Die Mehrheit der Abgeordneten konnte sich nicht – ihrem Gewissen folgend statt der Parteiräson –   zu einem Nein zu diesem von der Regierung Merkel vorgelegten Ermächtigungsgesetz   durchringen, das der Regierung schier unbegrenzte Verordnungsmacht einräumt, solange von ihr willkürlich festgelegte Inzidenzwerte von Testen, die auf lebensgefährliche Viren hinweisen sollen, nicht unterschritten werden. Auch der Bundespräsident stoppte das nicht. Das Präsidium des Bundesverfassungsgerichts als „Dritte Gewalt“  ist vorsorglich und rechtzeitig mit einem Parteigenossen und Lobbyisten (Habarth) besetzt worden, also gut gewappnet gegen die Flut der angelaufenen Verfassungsbeschwerden gegen dieses Gesetz.  Diese Ermächtigung hat die Bevölkerung als den Souverän  durch einen zum Notstand erklärten Krieg gegen das Virus, seine alleinige Deutung und Verordnungs-Kaskaden durch die Zentralgewalt de facto entmündigt. „ Alternativlos“, auf Unbestimmt, totalitär und aussichtslos: Die Bekämpfung einer möglichen Ansteckungsgefahr mit Polizeistaatsmethoden. Die Unverhältnismäßigkeit von Verordnungen als Staatsprogramm. 83 Mio. Deutsche sind ab Samstag , 24.4.nachts eingesperrt und mit Strafandrohung sanktioniert- unbefristet, martialisch und sinnlos.

Das mag traurig stimmen,  wütend oder  hoffnungslos. War das Grundgesetz doch immerhin ein Generationenvertrag, ein Versprechen, wenn auch ein provisorisches, das 72 Jahre gehalten hat. Der ihm eigene Auftrag (Art 164 GG) einer neuen Verfassung durch ein  wiedervereinigtes Volk wurde damals durch die Tempo- und Panikmacher in Bonn, Brüssel und Maastricht vereitelt und zum „Königsweg“ des Beitritts der DDR zur BRD (Art 23GG) umgedeutet. Mit der zweifachen Novellierung des Infektionsschutzgesetzes im November und jetzt im April – dem sprachlosen Volk als „Notbremse“ verpaßt-  und der Aufhebung  wesentlicher Grundrechte führt sich dieses „Provisorium“ selbst ad absurdum. Die Staatsführung hat sich  von der Bevölkerung, ihrer Mitwirkung bei der Meinungs- und Willensbildung und dem gegenseitigen Vertrauensverhältnis  entkoppelt. Damit negiert sie das tragende Element, gleichsam die Seele der Demokratie: Das Gespräch.                                                                                     „Dass ein Gespräch wir sind und hören aufeinander“ (Hölderlin, Friedensfeier).

In der modernen, differenzierten Gesellschaft ist dies in dreifacher Art getragen, impulsiert und auch anfänglich verfasst: Zum Einen: Die geistige Erkenntnis- und Selbsterziehungsfähigkeit der Individuen (Freiheitsimpuls). Hier gilt die Urteils- und Verantwortungsfähigkeit des Einzelnen unbedingt. Zum Anderen: Die  Vertrags- und Gesetzgebungsfähigkeit  der Individuen als Gleiche unter Gleichen (Demokratieimpuls). Hier gilt die Gleichheit des Urteils für Alle. Und zum Dritten: Unsere Bereitschaft und Fähigkeit füreinander Arbeitsleistungen zu erbringen (Brüderlichkeitsimpuls). Hier wirkt das Zusammenurteilen der Beteiligten zum Gemeinsinn.  Das sind Grundwahrheiten, die jeder Mensch erfahren, einsehen und miteinander in Einklang bringen  kann in der  Verfassungswirklichkeit.

Empfindungsmäßig brachen sich diese Grundwahrheiten 1798 durch die Franz. Revolution in Europa Bahn und zeitigten in Europa die Gewaltenteilung, wenn auch noch nicht die Autonomisierung und Gleichgewichtung von Geistes- Rechts- und Wirtschaftsleben. Die Annäherung der verfassungsmäßigen  Form an die soziale  Lebenswirklichkeit und Funktionen bleibt ständige Gestaltungsaufgabe in Gegenwart und Zukunft, soll das kulturell-autonom, rechtlich-gleich und wirtschaftlich-kooperativdifferenzierte Gemeinwesen nicht zum bloßen Machtapparat verkommen. Aus dem vertrauensvollen Zusammenwirken der drei sozialen Funktionen lebt der soziale Organismus. Wird für eine Gesundheits-und Hygienekrise die alleinige Zuständigkeit der Politik behauptet, wird daraus eine Staatskrise.

Unterliegt also das Gemeinwesen der Versuchung der Autokratie, des Cäsarenwahns oder Weltherrschafts-träumen, dann verlässt es den Weg der Würde des Menschen, somit die eigene Grundlage. Das ist in der Deutschen Geschichte dramatisch und folgenreich geschehen: 1913/14, 1918/19, 1933/39, 1949 und 1989/90. In diesen Notsituationen und Wegscheidungen sind es oft freie Geister, unabhängige Künstler, Pädagogen, Ärzte, Anwälte und Forscher, die das Korrektiv bilden:  So auch C. Morgenstern als Korff, Palmström, Gingganz und dem Versuch seiner Fastenrede, R. Steiners u.a. Aufruf an das Deutsche Volk und an die Kulturwelt 1919, E. Kästner der seiner eigenen Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz zuschaut, A. Haushofer, der weggesperrt und ermordet wird,  mit seinen Moabiter Sonetten, B. Brecht der die Kinderhymne dichtet und Anmut und Würde aufruft, der Liedermacher W. Biermann der ausgebürgert wird uvm.- Die Art und Böswilligkeit, mit der dieser Tage über die künstlerisch-satirische Aktion #allesdichtmachenvon 53 Schauspielern hergefallen wird, weist darauf hin, dass wir gegenwärtig abermals an einem krisenhaften Scheideweg stehen, einem Punkt, an dem Zweifel, Besinnung und Erkenntnishilfen, Beratungsangebote, Einforderung von Menschenrechten notfalls auch durch Satire und Humor  als staatsgefährdend gebrandmarkt werden! „Humor ist äusserste Freiheit des Geistes. Wahrer Humor ist immer souverän.“ (Rabenaas).                                                                                           

ÖFFNEN WIR DIE VERSCHIEDENEN   GESELLSCHAFTLICHEN  GESPRÄCHS- UND HANDLUNGSRÄUME UND ERKÜHNEN WIR UNS SOUVERÄNE ZU SEIN !

* MKR / Berliner Reportage No 16 / Berlin,  6. Mai 2021, dem 150.Geburtstag Morgensterns, der sich als Galgenbruder „Rabenaas“ nannte und seinem Kaiser Wilhelm II als von ihm  sogenannter „Rinnsteinkünstler“ zu dessen imperialen Flottenträumen im „Entwurf einer Fastenrede“ den nachfolgenden Satz entgegenrief:

„Die  Z u k u n f t  liegt nach wie vor im – G e i s t e“*